Eines vorweg: das (österreichische) Bundesgesetz über die Reorganisation von Unternehmen (Reorganisationsgesetz) wird nicht in die „Hitliste“ besonders erfolgreicher Gesetzeswerke eingehen. Der Gesetzgeber hat es allerdings im Zuge des Insolvenzrechtsänderungsgesetzes 1997 tatsächlich gut gemeint: wirtschaftlich angeschlagenen, aber noch nicht insolventen Kapitalgesellschaften soll ein Reorganisationsverfahren unter gerichtlicher Aufsicht ermöglicht werden.
Der entscheidende Hacken an diesem an sich zweckmäßigen
gesetzgeberischen Vorhaben war (bzw. ist), dass die betroffenen
Unternehmen an einer Reorganisation unter gerichtlicher Aufsicht nicht
das geringste Interesse haben. Dazu kommt, dass der OGH vor einiger Zeit zur – durchaus sinnvollen – Schlussfolgerung gekommen ist, dass eine Gesundung eines Unternehmens nicht zwingend auf Grundlage des Unternehmensreorganisationsgesetzes erfolgen muss, sondern auch andere, Erfolg versprechende und nachgewiesene Sanierungsmaßnahmen den gleichen Zweck erfüllen.
Mit dieser Entscheidung wurde dem Unternehmensreorganisationsverfahren der buchstäbliche Garaus gemacht; geblieben sind aber die beiden im Gesetz normierten Kennzahlen, deren praktische Bedeutung nach wie vor groß ist: die Eigenmittelquote sowie die fiktive Schuldentilgungsdauer.
Diese beiden Kennzahlen, bei deren Vorliegen ein Reorganisationsbedarf vermutet wird und üblicherweise die Rechtsfolgen des Eigenkapitalersatzgesetzes eintreten, zeichnen sich durch eine relativ einfache - aus der letzten Jahresbilanz abgeleitete - Berechnung, leichte Nachvollziehbarkeit, sowie die Möglichkeit der nachträglichen Überprüfung aus.
Die Kapitalstruktur wird anhand der Kennzahl Eigenmittelquote (§ 23 URG) beurteilt und auf Grundlage nachfolgenden Formel ermittelt:
Eigenkapital (§ 224 Abs. 3 A UGB) + unversteuerte Rücklagen (§ 224 Abs. 3 B UGB)
:
Gesamtkapital (§ 224 Abs. 3 UGB) vermindert um die nach § 225 Abs. 6 UGB von den Vorräten absetzbaren Anzahlungen
Im Folgenden wird dargestellt, welche (zulässige) Bewertungswahlrechte zur Verbesserung der Eigenmittelquote führen kann:
•Aufwendungen für das Ingangsetzen und Erweitern eines Betriebes dürfen als Aktivposten ausgewiesen werden; es ist der Ausweis einer gesonderten Bilanzposition erforderlich, die Abschreibung beträgt fünf Jahre (§ 198 Abs. 3 UGB)
•Aktivierungswahlrecht für Disagio betreffend Verbindlichkeiten; eine planmäßige jährliche Abschreibung ist erforderlich (§ 198 Abs. 7 UGB)
•Bilanzierung einer aktiven Steuerabgrenzung; ein gesonderter Ausweis im Jahresabschluss ist erforderlich (§ 198 Abs. 10 UGB).
•Bei der Berechnung der Herstellungskosten für Anlage oder Umlaufvermögen dürfen auch angemessen Teile der Materialgemeinkosten und der Fertigungsgemeinkosten aktiviert werden. Das gleiche gilt für (angemessene) Aufwendungen für Sozialeinrichtungen des Betriebes, für freiwillige Sozialleistungen, für eine betriebliche Altersversorgung und Abfertigungen (§ 203 Abs. 3 UGB).
•Bei Aufträgen, deren Auslieferung sich über mehr als zwölf Monate erstreckt, ist es zulässig, angemessene Teile der Verwaltungs- und Vertriebskosten zu aktivieren (§ 206 Abs.3 UGB).
•Möglichkeit der Aktivierung von Fremdkapitalzinsen in den Herstellungskosten für den Zeitraum der Herstellung (§ 203 Abs.4 UGB).
•Ausweis der geringwertigen Wirtschaftsgüter im Anlagevermögen und Bildung einer Bewertungsreserve.
•Ausweis der Unterdeckung der Pensionsrückstellungen in der Bilanz (anstatt unter dem Bilanzstichtag bzw. im Anhang).
•Höhe des Zinssatzes bei Abfertigungsrückstellungen, Jubiläumsgeldrückstellungen usw.
•Zuschreibungswahlrecht für das Anlagevermögen (§ 208 UGB).
Durch Ausübung der Bewertungswahlrechte können die beiden Kennzahlen gerade noch so gesteuert werden kann, dass kein Reorganisationsbedarf bzw. keine Krise im Sinne des Eigenkapitalersatzgesetzes vorliegt. Durch diese unternehmensrechtlich zulässigen Maßnahmen werden betriebliche Strukturprobleme nicht behoben. Im Falle der Beibehaltung der (schlechten) Unternehmenspolitik werden maximal ein bis zwei Jahre gewonnen.
Die Finanzkraft eines Unternehmens ist auf Grundlage der fiktiven Schuldentilgungsdauer zu beurteilen. Die gesetzliche Beschreibung der fiktiven Schuldentilgungsdauer in § 24 URG lautet folgendermaßen: In der Bilanz ausgewiesene Rückstellungen (§ 224 Abs. 3 C UGB) und Verbindlichkeiten (§ 224 Abs. 3 D UGB), vermindert um die im Unternehmen verfügbaren Aktiva nach § 114 Abs. 2 BIII Z. 2 und B IV UGB und die nach § 225 Abs. 6 UGB von den Vorräten absetzbaren Anzahlungen, sind durch den Mittelüberschuss aus der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit zu dividieren.
Die Berechnung dieser Größe vermittelt eine Vorstellung von jenem Zeitraum, welcher theoretisch erforderlich wäre, um die eingegangenen Schulden wieder vollständig abzubauen. Diese Kennzahl wird bei der Bonitätsbeurteilung eines Unternehmens als Faktor der Schuldentilgungskraft verwendet, und gehört aus diesem Grunde aus der Sicht der Kreditinstitute zu den wichtigsten Unternehmenskennzahlen überhaupt.
Die fiktive Schuldentilgungsdauer kann durch die Ausübung unternehmensrechtlicher Wahlmöglichkeiten auch Einfluss auf die Rückstellungen bzw. die Gewinn- und Verlustrechnung, und sohin auf das für die Ermittlung dieser Kennziffer zugrunde liegende Ergebnis aus gewöhnlicher Geschäftstätigkeit haben.
Die Berechnung der fiktiven Schuldentilgungsdauer erfolgt in der Praxis üblicherweise nach folgendem Schema:
Schulden
:
Mittelüberschuss aus der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit
Die Schulden werden auf Grundlage der nachfolgenden Bilanzpositionen ermittelt:
Rückstellungen (§ 224 Abs. 3 C UGB)
+ Verbindlichkeiten (§ 224 Abs. 3 D UGB)
- im Unternehmen verfügbare Aktiva gemäß § 224 Abs. 2 B III Z 2 UGB
(sonstige Wertpapiere und Anteile des Umlaufvermögens) und § 224 Abs.2 B IV UGB (Kassenbestand, Schecks, Guthaben bei Kreditinstituten)
- Anzahlungen (soweit nach § 225 Abs. 6 UGB von den Vorräten absetzbar)
Der Mittelüberschuss aus der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit wird auf Grundlage des nachfolgenden Berechnungsschemas ermittelt:
Ergebnis der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit
- auf die gewöhnliche Geschäftstätigkeit entfallende Steuern vom Einkommen
+ Abschreibungen auf das Anlagevermögen
- Zuschreibungen zum Anlagevermögen
+ Verluste aus dem Abgang von Anlagevermögen
- Erträge aus dem Abgang von Anlagevermögen
+ Erhöhung der langfristigen Rückstellungen
- Verminderung der langfristigen Rückstellungen
+ Erhöhung der langfristigen Rückstellungen
_______________________________________________
= Mittelüberschuss aus der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit
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